Was wir vom Krieg in der Ukraine lernen können

Seit mehr als zwei Monate beschäftigen wir uns nun schon mit Putins brutalen Angriffskrieg in der Ukraine. Bisher habe ich hier im Blog noch nichts dazu geschrieben, weil die Lage sich ständig geändert hat und zunächst nicht absehbar war, wie sich der Konflikt entwickelt. Doch mittlerweile wird immer deutlicher, dass wir daraus einiges lernen können.

Angesichts des Krieges in der Ukraine können wir viel lernen.

Das „Nie wieder“ ernst nehmen

Diesen Beitrag schreibe ich am 8. Mai. Dieses Datum steht für das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa, auch bekannt als Tag der Befreiung. Zwei wichtige Wörter, die seitdem immer wieder genannt werden, sind „Nie wieder“. Wir müssen aus dem Horror der Nazi-Zeit und des Holocaust lernen, dass sich sowas nie mehr wiederholt.

Dazu gehört auch, genau zu verstehen, wie es damals zum Aufstieg der Nazis und der immer schlimmeren Eskalation kommen konnte. Mit dem Wissen über die Geschichte müssen wir entsprechende Warnzeichen ernst nehmen, die damals nicht früh genug erkannt wurden. Es reicht nicht, „Nie wieder“ zu sagen; wir müssen es auch durchsetzen.

Im Vorfeld des Kriegs in der Ukraine wurden einige Anzeichen für eine Eskalation nicht ernst genug genommen. Klar, hinterher ist man immer schlauer. Aber es gab genug Warnungen, nicht nur die vorherigen russischen Brutalitäten in den Kriegen in Tschetschenien und in Syrien. Die unberechtigte Annexion der Krim ist bereits acht Jahre her und wurde nicht ernsthaft bestraft. Hinzu kommen der Fall Nawalny sowie diverse weitere Morde und Mordversuche. Die russische Politik ist seit Jahren durch die Unterdrückung bestimmter Gruppen, fehlende Meinungsfreiheit und Korruption geprägt, was Putins Weg zum Diktator ermöglichte.

Vorübergehend wirkte es seit der Wiedervereinigung und dem Zusammenbruch des alten Ostblocks so, als wäre der Kalte Krieg beendet. Frieden in Europa und die Idee des „Nie wieder“ schienen sich oberflächlich betrachtet durchgesetzt zu haben. Doch nun sehen wir deutlich, dass Russland mit den dortigen Machthabern, die das Ende der Sowjetunion nicht verkraftet haben, eher wie ein inaktiver Vulkan war. Am 24. Februar ist der Vulkan brutal ausgebrochen und hat großes Leid in die Ukraine gebracht.

Energiewende endlich durchsetzen

Der wohl wichtigste Grund für das weitgehende Ignorieren der gerade beschriebenen Warnzeichen ist die viel zu langsame und immer wieder boykottierte Energiewende. Es ist seit langem klar, dass Gas und Öl nicht unbegrenzt verfügbar sind. Trotzdem hat sich Deutschland mit den CDU- und Schröder-Regierungen in die Abhängigkeit zu Russland begeben. Das betrifft nicht nur die viel diskutierten Nordstream-Pipelines. Die letzten 12% des russischen Öls, das nach den Maßnahmen der letzten Wochen noch übrig bleibt, stecken in der Raffinerie in Schwedt. Diese gehört mehrheitlich dem russischen Unternehmen Rosneft. Einer der größten Gasspeicher Deutschlands steht in Niedersachsen und wurde im vergangenen Jahr fast komplett geleert. Er gehört dem russischen Unternehmen Gazprom.

Diese Probleme gäbe es nicht, wenn sich die deutsche Politik in den vergangenen Jahrzehnten ernsthaft um den Ausbau erneuerbarer Energien gekümmert hätte. Doch dafür war sie zu bequem. Da hätte sie ja ihre konservativen Einstellungen ändern und sich von den Lobbyisten der altmodischen Unternehmen distanzieren müssen. Es mangelte nicht nur an Aufmerksamkeit und finanzieller Unterstützung für Solarzellen, Windenergie und ähnliches. Der Ausbau wurde und wird auch aktiv behindert, wie man beispielsweise bei den Abstandsregeln für Windräder sieht.

Indirekt zeigt sich die Problematik auch daran, dass mehr darüber diskutiert wird, ob Elektroautos besser sind als Verbrenner, als über gute Alternativen zu Autos überhaupt. Öffentliche Verkehrsmittel und Radfahren helfen nicht nur beim Einsparen fossiler Energien, sondern machen die Stadt der Zukunft auch lebenswerter.

Seit Fridays for Future und andere Bewegungen mit meist jungen Teilnehmern demonstrieren, rückt der dringend notwendige Kampf gegen den Klimawandel mehr in die allgemeine Aufmerksamkeit und die Medien. Dass jedoch erst der brutale Krieg in der Ukraine für eine Beschleunigung mancher Maßnahmen sorgte, ist ein Armutszeugnis für die Politik und Wirtschaft.

Wichtige Themen nicht vergessen

Apropos Klimawandel. Habt ihr mitbekommen, dass der IPCC, auch bekannt als Weltklimarat, am 28. Februar und 4. April weitere Teile seines sechsten Sachstandsberichts zum Klimawandel veröffentlicht hat? Wahrscheinlich gar nicht oder nur unter ferner liefen. Dabei geht es dabei um extrem wichtige Warnungen vor den Folgen eines nicht aufgehaltenen Klimawandels. Dieser zeigt sich übrigens auch in einer extremen Hitzewelle in Indien. Beide Aspekte des Themas wurden medial vom seit 24. Februar laufenden Krieg verdrängt.

Fühlt sich die Corona-Pandemie seit einigen Wochen irgendwie beendet an? Nehmt ihr immer weniger Meldungen über Schutzmaßnahmen und die schlechte Impfquote in Deutschland wahr? Ist das vielleicht seit ungefähr Ende Februar so?

Diese beiden Beispiele zeigen eines der größten Probleme von Medien in der heutigen Zeit. Der Spiegel-Kolumnist Sascha Lobo hat es vor wenigen Tagen sehr anschaulich als „Welpen-Problem“ beschrieben. Viele Medien beschäftigen sich immer nur mit einem großen Thema gleichzeitig beschäftigen. So hat der Krieg in der Ukraine die Corona-Pandemie als Topthema verdrängt. Er ist bis heute so dominant in der Berichterstattung, dass die Warnungen vor dem Klimawandel nicht durchgedrungen sind. Doch die geringe Aufmerksamkeitsspanne ist nicht das einzige Problem. Vielfach fehlt auch das Gefühl dafür, was wichtig ist. Denn für irgendwelche Geschichten über alberne Prominente und ähnliche billige Meldungen ist immer Platz. Auch der Blick auf die größeren Zusammenhänge fehlt oft.

Internationale Zusammenhänge verstehen

Genau dieser umfassende Blick ist der nächste Punkt auf meiner Liste. Beim Krieg in der Ukraine geht es nicht nur um die Frage, wie man Putin mit Sanktionen und Waffen stoppen kann, und die Auswirkungen auf die Energiepreise. Man kann hier auch erkennen, wie viele internationale Verbindungen es gibt.

So sind die Ukraine und Russland wichtige Exporteure für Weizen. Für Deutschland ist das nicht so wichtig. Aber afrikanischen Länder, die ohnehin schon mit vielen Problemen kämpfen, droht dadurch eine zusätzliche Hungersnot. Wenn demnächst weitere Flüchtlinge nicht nur aus der Ukraine nach Europa kommen, darf man sich nicht wundern.

Ein anderes Beispiel ist der Kampf um die LNG-Lieferungen. Der Chef der Bundesnetzagentur (bekannt als die Behörde, die im Notfall entscheidet, wer in Deutschland noch mit Gas versorgt wird) hat diese Woche bei Markus Lanz erklärt, wie das läuft. Kurz gesagt: Deutschland nimmt asiatischen Ländern, die nur schlechte und damit weniger wirksame Verträge haben, die Lieferungen mit mehr Geld weg.

Das gute Internet der Ukraine

Die intensive Beschäftigung mit der Ukraine bringt uns einige Erkenntnisse, die zeigen, dass wir die Osteuropäer nicht unterschätzen dürfen. Dabei rede ich nicht nur von dem großen Kampfgeist der Menschen dort, die sich von Putins Truppen nicht zerstören lassen. Es geht auch darum, dass die Ukraine technisch teilweise fortschrittlicher ist als wir. Während wir uns über zu lahmes Internet und Funklöcher beklagen, funktioniert das Internet im flächenmäßig zweitgrößten Land Europas sogar noch im Krieg. Ein wichtiger Grund dafür ist die dezentrale Organisation.

Ein Musterbeispiel für fortschrittliche Digitalisierung finden wir übrigens etwas weiter nördlich in Estland. E-Government und andere digitale Abläufe funktionieren dort viel besser als in Deutschland.

Dinge klar benennen

Der letzte Punkt für diesen Beitrag ist die Sprache. In Russland ist es verboten, den Krieg so zu nennen. Mit Atomwaffen und einem dritten Weltkrieg wird Propaganda betrieben. Niemand im Westen will Kriegspartei werden und wir reden über schwere Waffen statt Panzer. Mehr dazu schreibe ich demnächst noch in meinem anderen Blog „Erlebnis Sprache“.