Alter Mief statt frischer Wind – Die Europäische Union enttäuscht

Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren“ – mit diesem Motto demonstrierten die Studierenden in den 1960er Jahren gegen elitäre Strukturen und die mangelhafte Aufarbeitung der NS-Zeit. Sie brachten frischen Wind in die Politik. Die Situation in der Gegenwart sieht etwas anders aus. Aber ein frischer Wind wurde uns auch vor der Europawahl 2019 versprochen. Ich habe mich das unterstützt. In diesem Blog habe ich für die Wahl geworben und 12 Gründe für die Europäische Union aufgelistet. Nach den Ereignissen der letzten Tage muss ich nun jedoch feststellen: Ich habe mich getäuscht. Der alte Mief und die alten Regeln bestimmen weiterhin die EU-Politik.

Die Politik der Europäischen Union wird zum Trauerspiel.

Wie Ursula von der Leyen zur neuen Präsidentin der Europäischen Kommission wurde, wirkt sehr seltsam. Es geht dabei nicht um die Frage, ob die Person an der Spitze der konservativen EVP, den Sozialdemokraten, den Grünen oder den Liberalen angehört. Es geht darum, wie sie gewählt wird, wie die Entscheidung begründet wird und ob der Bewerber bzw. die Bewerberin kompetent ist.

Entscheidung im Hinterzimmer

Ein großer Teil der (vermeintlichen) Aufbruchsstimmung vor der Europawahl bezog sich darauf, dass das Europäische Parlament als direkt gewähltes Gremium gestärkt werden sollte. Die Wähler sollten erkennen, dass ihre Stimme bei der eher unbeliebten Wahl etwas für die Europäische Union bringt. Die sogenannten Spitzenkandidaten sollten den Menschen die komplizierte und komplexe Politik näherbringen. Jetzt sehen wir aber wieder, dass die Entscheidung bei den wenigen Politikern im Europäischen Rat fällt. Hinterzimmer schaffen es wieder in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Das Parlament hingegen nickt die Entscheidung trotz aller Unzufriedenheit nur noch ab.

Zweifelhafte Pro-Argumente

Die Argumente, die für Ursula von der Leyen sprechen sollen, erscheinen sehr dünn und konstruiert.

  • Sie ist eine Frau. Das ist richtig und ich bin sehr dafür, Frauen in entscheidenden Positionen zu fördern, weil sie oft bessere und vernünftigere Entscheidungen als Männer treffen. Aber wenn Weiblichkeit alleine ohne Berücksichtigung der Kompetenz als Argument gilt, reicht das nicht.
  • Sie ist eine Deutsche. Richtig, aber völlig irrelevant. In der Europäische Union sollen doch gerade die gemeinsame Politik und das Zusammenleben über nationale Grenzen hinweg im Mittelpunkt stehen. Deutsche Staatsangehörigkeit ist auch kein Beleg für Kompetenz.
  • Sie ist eine überzeugte Europäerin. Das sollte für jedes Mitglied einer EU-Institution gelten. Es ist eine Selbstverständlichkeit, wenn man sich für ein Amt in der europäischen Politik bewirbt, und kein besonderes Qualitätsmerkmal für ein Spitzenamt.
  • Sie wurde im Bezirk Brüssel geboren. Dort befindet sich zwar der Hauptsitz der EU. Aber dort wurden mehrere Millionen Menschen geboren, die trotzdem kein Spitzenamt in der EU übernehmen.
  • Sie muss gewählt werden, um weiteres Chaos durch die lange Personaldebatte zu verhindern. Im Gegenteil: Chaos entsteht erst durch solche Hinterzimmer-Deals, die die Wähler enttäuschen und vor allem den extremistischen Kritiker der EU Argumente geben. Gute Politik wäre das beste Mittel zur Stärkung der EU.
  • Sie hat eine rhetorisch gute Rede gehalten. Mag sein, dass es rhetorisch gut war. Aber es kommt auf den Inhalt an und der ist schwach. Beim Klimaschutz beispielsweise blockiert vor allem von der Leyens Partei sinnvolle Maßnahmen. Auch bei anderen Themen sind es nur Versprechen, nur leere Worte. Konkrete Ideen oder Maßnahmen? Fehlanzeige.

Kompetenz ist mangelhaft

Für eine solch hochrangiges Amt braucht man eigentlich Kompetenz. Was hat Ursula von der Leyen zu bieten?

Sie hat bereits vor zehn Jahren versucht, eine Zensur im Internet einzuführen. Für das gescheiterte Zugangserschwerungsgesetz bekam sie den Spitznamen „Zensursula“. Einen Plan für den richtigen Umgang mit dem Internet haben die Politiker bis heute nicht. Als Verteidigungsministerin hat von der Leyen nichts Gutes zustande gebracht. Die Bundeswehr ist trotz ihrer wichtigen Funktion mittlerweile ungefähr so häufig Thema von Witzen wie der Berliner Flughafen. Außerdem verstärkt sie mit ihren Berater-Affären den Vorwurf, dass die Politik sowieso nur von Lobbyisten gesteuert werde.

Kompetenz, um Präsidentin der Europäischen Kommission zu werden, ist nicht zu erkennen – und offensichtlich beim Gang durchs Hinterzimmer nicht notwendig. Es gibt jetzt eben auch die weibliche Version des alten Spruchs „Hast du einen Opa, schick ihn nach Europa.“

Ein ähnlicher Fall in Deutschland

Durch von der Leyens Wechsel zur EU braucht die deutsche Bundesregierung eine Neubesetzung an der Spitze des Verteidigungsministeriums. Den Posten übernimmt nun Annegret Kramp-Karrenbauer. Das ist die Politikerin, die hart gegen Migranten durchgreifen will, Russland provoziert und die Regeln für Rüstungsexporte lockern will. Wenn sie nicht gerade Youtuber als neue Bedrohung beschimpft. Erfahrung im Bereich der Verteidigungspolitik oder Bundeswehr? Nicht vorhanden. Aber Machtspielchen einer Möchtegern-Kanzlerin sind eben wichtiger. Es ist die kleine Version der Geschichte um Ursula von der Leyen.

Die 100-Tage-Frist

Gemäß der 100-Tage-Frist soll man neuen Amtsinhaber ja genau diese Zeit zugestehen, um sich in der neuen Funktion zu beweisen. Falls es den beiden genannten Politikerinnen überraschend gelingen sollte, in ihren neuen Ämtern gute Politik zu machen, würde ich das positiv bewerten. Die Wahrscheinlichkeit, dass es dazu kommt, ist bei diesen Voraussetzungen allerdings gering.