Wer in einem christlichen Umfeld aufgewachsen ist, kennt die Geschichte rund um die Geburt Jesu, die die Grundlage für das Weihnachtsfest ist. In der Kirche wird an Heiligabend immer das Kapitel 2 aus dem Lukas-Evangelium vorgelesen, beginnend mit dem Satz: „Es geschah aber in jenen Tagen, dass Kaiser Augustus den Befehl erließ, den ganzen Erdkreis in Steuerlisten einzutragen.“ Das originale Geschehen ist rund zweitausend Jahre her. Doch wie würde die Geschichte heute aussehen? Schauen wir uns das Geschehen mal genauer an.
Vom kaiserlichen Befehl bis zum Kind in der Krippe
Los geht es mit dem bereits zitierten Satz und Kaiser Augustus. Heute würde natürlich kein Kaiser den Befehl geben, sondern es wäre eine komplizierte politische Planung. Außerdem bräuchte sich niemand auf einer Steuerliste eintragen zu lassen, weil das Finanzamt die Daten digital vorliegen hat, wenn auch auf alten Computern. Quirinius war Statthalter von Syrien. Damals war es eine römische Provinz, heute ist es ein Kriegsgebiet. Von Nazareth nach Bethlehem ging es damals, nach heutiger Zuordnung also von Israel ins Westjordanland, einem weiteren Krisengebiet. Maria und Josef wären also nicht auf dem Weg, um sich eintragen zu lassen, sondern wahrscheinlich auf der Flucht. Josef war unterwegs mit „seiner Verlobten, die ein Kind erwartete“. Jesus war also ein uneheliches Kind.
Die Mutter legte ihn damals „in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war“. Heute wären sie vielleicht mit ähnlich unbequemen Bedingungen in einem überfüllten Flüchtlingslager in der Türkei oder in Griechenland gelandet. Die Hirten auf dem Feld würden sich gerade darüber Gedanken machen, wie ihre Schafe nach dem heißen Sommer mit dem ausgetrockneten Boden zurechtkommen, eine Folge des Klimawandels.
Damals sprach der Engel des Herrn zu den Hirten: „Fürchtet euch nicht, denn siehe, ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteilwerden soll: Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Christus, der Herr.“ Heute bekämen sie eine entsprechende Eilmeldung als Pushnachricht aufs Smartphone. Maria würde mit einer Facebook-Veranstaltung zur Geburtstagsfeier ihres Sohnes einladen. Die Nachricht würde schnell auch Deutschland und Europa erreichen, wo die Medien aufgeregt über das Wunderkind aus dem Nahen Osten berichten würden. Rechtsradikale würden gegen das jüdische Flüchtlingskind hetzen.
Herodes und die Sterndeuter
Damit kommen wir zum anderen Teil der Geschichte rund um Jesu Geburt, die wir im Evangelium nach Matthäus, Kapitel 2 lesen können. Demnach gab es damals mit König Herodes einen brutalen Menschen. Herodes war wütend auf die Sterndeuter (heute als Heilige Drei Könige bekannt), die Jesus besuchten, aber wegen einer Warnung nicht zum König zurückkehrten. Daher veranlasste er einen Massenmord an Kleinkindern. Anno 2019 würde er wohl aufgrund von Gerüchten und angeblichen Fake News handeln.
Heute würde natürlich auch niemand einem Stern folgen. Wozu gibt es Routenplaner auf dem Smartphone? Die Besucher aus dem Morgenland wären Fans von Jesus Christ Superstar und würden Selfies mit dem Kind bei Instagram posten. Gold, Weihrauch und Myrrhe wären als Geschenke ungeeignet. Was soll ein kleines Kind mit einem Goldklumpen und Drogen anfangen? Dann doch lieber das erste Geld aufs Konto und ein Paket mit Babyzubehör. Heute ist Weihnachten schließlich auch ein Fest des Kommerzes.
Die große Freude
Das Gedankenexperiment zeigt, dass die Weihnachtsgeschichte in der Gegenwart wohl ganz anders verlaufen würde als damals. Wir leben schließlich in einer sehr unruhigen Welt, sowohl bezüglich der politischen Krisen als auch mit Blick auf den hysterischen Kampf um Aufmerksamkeit. Aber wir sollten uns lieber mal an die Worte des Engels erinnern. Wir sollten uns nicht fürchten, sondern das Positive in der Welt sehen. Wir sollten uns mit Vernunft und gemeinsamem Engagement um das Gute bemühen. In diesem Sinne: Frohe Weihnachten!