Im März 2021 habe ich in meinem Blog eine Kurzgeschichte aus Futurissimae erzählt. Dabei habe ich anhand der von mir ausgedachten Stadt gezeigt, wie das Leben in einer besseren Zukunft aussehen könnte. Nun greife ich in einer kleinen Serie einzelne Aspekte aus dieser Vision auf. Ich möchte dabei überprüfen, wie der aktuelle Stand bei dem jeweiligen Thema ist und was man in Zukunft noch verbessern könnte. Im ersten Teil beschäftige ich mich mit dem Verkehr.
Woran denkt ihr beim Begriff Verkehr zuerst? Eher an Autofahren oder eher an Bus und Bahn? Wie sehr nutzt ihr das Deutschlandticket, besser bekannt als 49-Euro-Ticket? Wann habt ihr euch zuletzt aufs Fahrrad geschwungen? Wann habt ihr euch zuletzt über einen Stau auf der Autobahn, steigende Benzinpreise oder eine Verspätung geärgert? Was bedeutet überhaupt Mobilität?
Wenn wir in Deutschland über Verkehr sprechen, wird es oft kontrovers. Autofahrer gegen Radfahrer, Bahn gegen Flugzeug, Lobbyisten gegen Regierung. Außerdem reden wir oft über Probleme wie marode Infrastruktur oder Verspätungen. Kann man mit Verkehrsthemen überhaupt Good News produzieren? Ja, das kann man – und zwar nicht nur in meiner Futurissimae-Zukunftswelt, sondern auch in der Realität und Gegenwart, wie zahlreiche Beispiele aus aller Welt zeigen.
Der Ist-Zustand: Auto immer noch die Nummer 1
Die Umfragen und Statistiken geben ein eindeutiges Bild. Um von A nach B zu kommen, nutzen die Menschen vor allem das Auto. Das gilt für die gesamte EU und natürlich erst recht für Deutschland. In der Mobilität können oder wollen die meisten Deutschen nicht auf den PKW verzichten. In ländlichen Gegenden gilt das umso mehr.
Diese Zahlen kommen natürlich nicht überraschend. Schließlich haben wir in Deutschland eine einflussreiche Lobby der Automobil-Industrie. Wir hatten und haben Verkehrsminister, die eine Maut nur für Ausländer einführen wollten und damit einen Milliarden-Schaden verursachten oder stur für Verbrenner kämpfen. Selbst die umweltfreundlichere Version des Autofahrens mit (möglichst grünem) Strom ist schwierig. Teure Fahrzeuge, fehlende Ladestationen etc., ihr kennt das Thema.
Noch schwieriger ist in Deutschland die Fortbewegung mit anderen Verkehrsmitteln. Bei der Deutschen Bahn fahren die Züge entweder verspätet oder gar nicht, wenn (wie vor ein paar Wochen mal wieder die Lokführer streiken) oder irgendwo eine Strecke gesperrt ist. Radfahrende Menschen kennen auch genug Probleme, zum Beispiel schlechte oder fehlende Radwege.
Fahrrad als gesündestes Verkehrsmittel unterstützen
Ich fahre gerne und viel mit dem Fahrrad. Es ist auf jeden Fall das gesündeste Verkehrsmittel, da man die eigene Muskelkraft als Antrieb benutzt und in der frischen Luft unterwegs ist. Weitere Vorteile des Fahrrads habe ich schon mal in einem eigenen Artikel beschrieben:
In dem Artikel bin ich auch schon kurz auf einige Verbesserungsmöglichkeiten und Best-Practice-Beispiele eingegangen. Denn wir müssen die Radfahrer nicht an den Rand drängen und als Verkehrsteilnehmer zweiter Klasse behandeln. Wir können ihnen auch mehr Aufmerksamkeit, mehr Platz und eine bessere Infrastruktur geben.
Was alles möglich ist, zeigt das oft zitierte Beispiel vom Radverkehr in Kopenhagen, dessen Anteil an der Mobilität schon bei mehr als einem Drittel liegt und auf die Hälfte wachsen soll. Wenn man „Kopenhagen Fahrrad“ googelt, tauchen in den Suchergebnissen Begriffe wie „Spaß“ oder sogar „Paradies“ auf und nach der Stadt ist sogar ein Index für Fahrradfreundlichkeit benannt. Man kann sich in Youtube-Videos ansehen, was das bedeutet: breite Radwege bis hin zu einer eigenen Brücke, eine günstige Ampelschaltung, gute Abstellmöglichkeiten und viele weitere Hilfsmittel, die das Radfahren angenehm machen. Eine aktuelle Studie aus Paris zeigt, dass dort innerhalb der Stadt mit dem Fahrrad mehr als doppelt so viele Wege zurückgelegt werden wie mit dem Auto.
Um ähnliche Verbesserungen auch bei uns in Deutschland umsetzen zu können, brauchen wir erstmal eine neue Denkweise. Wir müssen verstehen, dass ein paar Striche und rote Farbe am Straßenrand keinen vernünftigen Radweg ergeben. Wir müssen verstehen, dass gute Radwege statt Parkplätze keinen Verlust, sondern eine sinnvolle Alternative bieten. In der Natur und auf dem Land haben wir in Deutschland schon gute Möglichkeiten zum Radfahren wie den Rurufer-Radweg. Allmählich kommt etwas mehr Bewegung bei der Einrichtung von Radschnellwegen als eigenständige Routen. Aber vor allem innerhalb von Städten geht noch viel mehr bei der Infrastruktur.
Die niederländische Stadt Utrecht zeigt außerdem, dass man ein Parkhaus nicht zwangsläufig nur mit Autos assoziieren muss. Vor allem an Bahnhöfen sind Fahrradparkhäuser eine sinnvolle Einrichtung. Damit kommen wir zum nächsten Verkehrsmittel.
Bus und Bahn: Ein deutschlandweites Ticket reicht nicht
Das Deutschlandticket feiert in wenigen Tagen, nämlich am 1. Mai, seinen ersten Geburtstag. Ungefähr ein Jahr vorher gab es schon seinen günstigeren Vorgänger, das 9-Euro-Ticket. Beide Fahrscheine ermöglichen die Nutzung des ÖPNV in ganz Deutschland, weshalb sie als Revolution gefeiert wurden. Schon beim 9-Euro-Ticket wurde allerdings deutlich, dass ein deutschlandweit gültiger Fahrschein nicht für die Verkehrswende in Bus und Bahn reicht. Damals habe ich dazu schon einen Artikel geschrieben:
Die beschriebenen Probleme gelten weiterhin beim 49-Euro-Ticket. Sie sind wohl ausschlaggebend dafür, dass das Angebot noch nicht die versprochene Revolution ist. Der Erfolg ist bisher überschaubar. Zwar gab es 2023 rund 7% mehr Fahrgäste, aber die Gesamtzahl war in den Jahren vor Corona trotzdem höher.
Neben den erwähnten Schwächen kommt derzeit die Unsicherheit über den Preis und den langfristigen Bestand des Tickets hinzu. Nach dem Lockangebot für 9 Euro ist der Preis für die deutschlandweite Fahrtmöglichkeit mit Bus und Bahn auf 49 Euro gestiegen. Niemand weiß, wie lange dieser Preis noch gilt. Mögliche Erhöhungen werden immer wieder angedeutet und diskutiert.
Dabei verweisen die Verkehrsbetriebe und die Politik auf die schwierige Finanzierung. Ich denke, es ist wie bei der Fahrrad-Infrastruktur eher eine falsche Prioritätensetzung. Ein Auto gilt in Deutschland als attraktiver, während das Image eines Busses oder eines Zuges ausbaufähig ist. Dabei gibt es hier ebenfalls Best-Practice-Beispiele. Die Stadt Monheim am Rhein, einige polnische Städte sowie ganz Luxemburg und Malta u.a. haben eins gemeinsam: Sie bieten ihren Einwohnern oder sogar allen Nutzern einen kostenlosen Nahverkehr an. Auch an anderen Orten weltweit wird so etwas zumindest teilweise umgesetzt.
Verschiedene Verkehrsmittel verbinden
In einer idealen Welt, wie ich sie in meiner Futurissimae-Geschichte entworfen habe, können die Menschen verschiedene Verkehrsmittel ohne großen Aufwand und zuverlässig verbinden. Was das bedeutet, zeige ich mal an einem konkreten Beispiel, nämlich der Frage: Wie komme ich von meiner Haustür zu einem Hotelzimmer in Berlin? Das ist eine Strecke, die ich mindestens ein-, zweimal pro Jahr nutze.
Für den Weg von der Haustür zum Dürener Bahnhof bin ich fast schon in einer Luxus-Situation. Wenige Meter von meiner Haustür entfernt befindet sich eine Haltestelle der Rurtalbahn, einer regionalen Bahn hier im Kreis, die direkt am Bahnhof endet. Dort steige ich in einen Regionalexpress nach Köln ein und am dortigen Hauptbahnhof geht es in den ICE nach Berlin. In der Hauptstadt gibt es dann ja zum Glück ein umfangreiches ÖPNV-Angebot.
In diesem Beispiel gibt es also eine relativ gute Kette von Verkehrsmitteln, aber trotzdem Schwierigkeiten. Das größte Problem ist die Zeit. Wir kennen schließlich alle das Problem mit Verspätungen bei den Zügen. Ausgehend von der geplanten Abfahrtszeit des ICE muss ich rückwärts rechnen und für jedes Umsteigen genug zeitlichen Puffer einplanen, um trotz möglicher Verzögerungen rechtzeitig da zu sein. Das gilt für den Weg von Düren nach Köln ebenso wie vorher beim ersten Streckenabschnitt bis zum Dürener Bahnhof. Für diesen ersten Abschnitt könnte ich theoretisch auch das Fahrrad nutzen. Aber das wird schwierig, wenn ich mehr Gepäck als einen Rucksack habe und kein Lastenrad benutze.
Was muss sich also ändern? Ein wichtiger Schritt wäre eine zuverlässige Deutsche Bahn, die bei der Pünktlichkeit Werte von mehr als 90% erreicht – und zwar echte Pünktlichkeit und nicht die bisherigen statistischen Schönfärbereien, wonach bis zu fünf Minuten Verspätung und ausgefallene Züge als pünktlich gelten. Dann könnte ein integraler Taktfahrplan helfen, bei dem die Züge regelmäßig zu bestimmten Zeiten abfahren und die Verbindungen passend miteinander verknüpft werden. Die Deutsche Bahn und Verkehrspolitiker reden in diesem Zusammenhang seit Jahren von einem „Deutschlandtakt“. Aber dessen Einführung kommt natürlich verspätet, frühestens in den 2040er Jahren, vielleicht erst 2070.
Im Idealfall wären die Verkehrswege so geplant, dass auch andere Verkehrsmittel wie Busse im Takt mitfahren und ein Umstieg an Knotenpunkten ohne lange Wartezeiten möglich ist. Dann könnte man beispielsweise in einer allgemeinen App eine komplette Strecke von daheim über mehrere Haltestellen und Bahnhöfe hinweg bis zum Ziel planen. Erste Ansätze dazu bieten die Routenplanung von Google Maps und anderen Apps. Aber da geht noch viel mehr.
Platz besser nutzen
Selbst das Umweltbundesamt als politische Behörde gibt in einem Artikel über Carsharing zu, dass die meisten Autos weniger ein Fahrzeug und eher ein „Stehzeug“ sind, weil sie 23 von 24 Stunden täglich ungenutzt herumstehen. Dazu benötigen sie viel Platz. In Deutschland gibt es aktuell rund 49 Millionen zugelassene PKW. Für einen Parkplatz werden üblicherweise mindestens 12 Quadratmeter berechnet (Tendenz steigend bei immer größeren Autos). Wenn wir das multiplizieren, kommen wir auf fast 600 Quadratkilometer, die von den deutschen Autos eingenommen werden. Das sind ungefähr zwei Drittel der Gesamtfläche Berlins.
Diese Flächen könnten wir in einer modernisierten Welt besser nutzen. Weniger Parkplätze für Autos am Straßenrand bedeuten mehr Platz für Radwege. Wir hätten ebenso mehr Platz für Grünflächen, Bäume, Spielplätze oder Außengastronomie. Schließlich wäre die Aufenthaltsqualität am Straßenrand ja besser, wenn Motorenlärm, Abgase und Feinstaub deutlich reduziert werden. Vorbildliche Beispiele wie die durch den Rheinufertunnel wiederbelebte Promenade in Düsseldorf oder die autofreie Promenade am Ufer der Seine in Paris zeigen, wie das funktionieren kann.
Mobilität ist vielseitig
Wenn man Verkehr und Mobilität noch umfassender denkt, erkennt man schnell, wie komplex dieses Thema aus. Das zeigt die neuste Ausgabe des Good News Magazins, die zufällig genau zu der Zeit erschien, als ich gerade angefangen hatte, diesen Blogbeitrag zu schreiben. Daraufhin habe ich das Schreiben unterbrochen und erstmal das Heft gelesen. Neben den schon erwähnten Themen berichtet die GNM-Redaktion beispielsweise auch über Interrail, Gondeln, Flüchtlinge auf Booten, barrierefreie Mobilität, Frauen im Verkehr und die Vision einer grenzenlosen Welt. Alles sehr lesenswert. Vielleicht die passende Lektüre für die nächste längere Bahnfahrt.