Mittlerweile werden sehr viele Daten über die Welt in Statistiken erfasst. Aber wie viel wissen wir eigentlich über diese Fakten? Wissen wir eigentlich, wie es weltweit mit Einkommen, Gesundheit und Lebenserwartung aussieht? Viele von uns, einschließlich Experten, liefern bei entsprechenden Fragen oft schlechtere Ergebnisse als zufällig tippende Schimpansen. Zu dieser Erkenntnis kam jedenfalls der schwedische Arzt und Statistiker Hans Rosling. Er hat deshalb mit Sohn und Schwiegertochter das Projekt Gapminder gegründet und das ebenso spannende Buch Factfulness geschrieben.
Gapminder bietet einen besseren Blick auf die Welt
Das Projekt Gapminder wurde von Hans Rosling gegründet, nachdem der Arzt viel in der Welt unterwegs war und dabei oft selbst großen Trugschlüssen über die Entwicklungen in dieser Welt begegnet ist (mehr dazu später). Er hat deshalb gemeinsam mit seinem Sohn Ola und Schwiegertochter Anna ganz viele Daten zu Themen wie Einkommen und Gesundheit gesammelt. Diese Daten stellt die Gapminder Foundation u.a. in Form von Blasendiagrammen anschaulich dar.
Hier seht ihr ein Beispiel, das von der Gapminder-Website eingebunden ist.
Die Grafik zeigt die weltweite Lebenserwartung zum Zeitpunkt der Geburt im Vergleich zum täglich pro Person verfügbaren Einkommen. Die farbigen Blasen stellen die einzelnen Länder dar (Größe gemäß Einwohnerzahl). Deutschland ist mit der gelben Blase hervorgehoben. Unser Land liegt mit beiden Werten ziemlich hoch und deshalb weit oben rechts.
Was aber noch wichtiger ist: Kein Land liegt aktuell unter 50 Jahre Lebenserwartung und nur noch in wenigen Ländern haben die Einwohner durchschnittlich weniger als zwei Dollar pro Tag zur Verfügung. Wenn du unten links auf den Play-Button klickst, setzen sich die bunten Blasen in Bewegung, und du siehst, wie sich die Zahlen im Laufe der letzten zwei Jahrhunderte entwickelt haben. Dass die Blasen immer weiter von unten links nach oben rechts wandern, verdeutlicht, dass die Werte weltweit besser werden.
Gapminder bietet zahlreiche solcher Statistiken, mit denen man einen besseren Blick auf die Welt erhält. Man kann sein Wissen auch mit den Fragen im Worldview Upgrader überprüfen. Vor allem wenn man sich noch nicht soviel mit dem Thema beschäftigt hat, bekommt man hier oft einen positiven Aha-Effekt.
Roslings Vier-Stufen-Modell und die Dollar Street
Vorhin habe ich die zwei Dollar pro Person und Tag erwähnt, die vom Einkommen zur Verfügung stehen. Solche Werte haben für die Betrachtung der Welt, die uns Familie Rosling bietet, eine grundlegende Bedeutung. Sie teilen die Welt nämlich nicht in einen reichen und einen armen Teil (was übrigens einer der noch zu besprechenden Trugschlüsse ist), sondern nutzen ein Vier-Stufen-Modell. Auf der untersten Stufe ist man im Bereich von einem Dollar täglich und kann kaum die Grundbedürfnisse befriedigen. In Stufe 2 vervierfacht man den Wert ungefähr und kann sich ein paar Basics leisten. Stufe 3 ist mit einer erneuten Vierfachung schon etwas besser gestellt und Stufe 4 ist unser Lebensstandard in Deutschland und anderen wohlhabenden Ländern.
Um die Entwicklung noch anschaulicher darstellen zu können, hat die Gapminder Foundation weltweit Familien besucht, die in unterschiedlichen finanziellen Verhältnissen leben. Daraus ist die Dollar Street entstanden. Mit kurzen Videos, Fotos und Texten lernt man die verschiedenen Familien kennen und kann sich anhand von alltäglichen Gegenständen und Tätigkeiten einen Eindruck verschaffen, wie diese Menschen leben.
Factfulness klärt über Trugschlüsse auf
Die Arbeit von Gapminder bildet auch die Grundlage für das sehr lesenswerte Buch Factfulness. Hans Rosling schrieb es mit Ola und Anna. Er erlebte die Veröffentlichung nicht mehr, aber er schafft es, anhand seiner eigenen Erfahrungen und Analysen, uns einen neuen Blick auf die weltweiten Entwicklungen zu bieten. Ich bin auf dieses Buch und damit auch das Gapminder-Projekt gestoßen, als ich begonnen habe, mich intensiver mit Good News zu beschäftigen. Denn Medien tragen durch einseitige, eingeschränkte und dramatisierte Berichterstattung zu der problematischen Weltsicht bei.
Die Statistiken der Gapminder Foundation und die daraus entwickelten Faktenfragen bilden mit dem Vier-Stufen-Modell die Grundlage für das Buch. Die Leser werden also ebenso wie auf der Website mit ihren falschen Einschätzungen konfrontiert. Dann stellen die Roslings in zehn Kapiteln verschiedene Trugschlüsse vor, die sie als Instinkte bezeichnen. Sie sind die Ursachen dafür, dass falsche Vorstellungen über die Welt da draußen entstehen und sich verfestigen.
- Der Instinkt der Kluft sorgt für eine unpassende Zweiteilung der Welt in reiche und arme Menschen.
- Der Instinkt der Negativität beruht auf der auch von einseitigen Berichten geförderten Fehlannahme, dass alles immer schlimmer wird.
- Der Instinkt der geraden Linie lässt zu Unrecht vermuten, dass statistische Entwicklungen sich geradlinig fortsetzen.
- Beim Instinkt der Angst kommt es darauf an, Gefahren angemessen einzuschätzen.
- Um den Instinkt der Dimension zu verhindern, sollte man Zahlen immer in Relation zu anderen Zahlen betrachten.
- Der Instinkt der Verallgemeinerung führt zu einer pauschalen Betrachtung und erkennt nicht die richtige Bedeutung einer Mehrheit.
- Wer den Instinkt des Schicksals verhindert, erkennt auch langsame Verbesserungen und aktualisiert sein Wissen.
- Beim Instinkt der einzigen Perspektive geht es um Probleme, die entstehen, wenn man sich auf einen einzelnen Experten verlässt.
- Der Instinkt der Schuldzuweisung lässt sich verhindern, indem man keinen Sündenbock, sondern die wirklichen Ursachen sucht.
- Vermeiden sollte man auch den Instinkt der Dringlichkeit, der zu Panik und dadurch schlechteren Entscheidungen führt.
Persönliche Erlebnisse verdeutlichen die Bedeutung der Trugschlüsse
Nun lesen wir also etwas über diese Instinkte und erhalten Tipps, wie wir die Trugschlüsse erkennen und vermeiden können. Das Buch wird aber noch intensiver durch die persönlichen Erlebnisse, die Hans Rosling zu Beginn jedes Kapitels und in zusätzlichen Infoboxen schildert. Sie tragen ebenso wie die Dollar Street dazu bei, die Statistiken zu veranschaulichen.
So zeigt Rosling beispielsweise, was man anhand eines Aufzugs über die Entwicklungsstufen verschiedener Länder lernen kann. Der Arzt erzählt von einem Notfall-Einsatz im Krankenhaus, bei dem er Symptome bei einem abgestürzten Piloten falsch deutete. Außerdem berichtet er über mehrere Erfahrungen beim Kampf gegen Ebola und andere Krankheiten. Sehr unangenehm war für ihn auch ein Erlebnis mit einer von ihm empfohlenen Straßensperre. Mehr sage ich nicht dazu, um nicht zu viel zu verraten.
Gapminder macht auf die Lücken aufmerksam
Die Roslings schaffen mit der Gapminder Foundation, der Website und dem Buch jedenfalls das, was der Name verspricht. Der Name des Projekts kommt nämlich von einer Ansage, die wir mit U-Bahnen im englischsprachigen Raum verbinden: Mind the gap! Man soll auf die Lücke zwischen dem Fahrzeug und dem Bahnsteig achten. Die anschaulichen Statistiken verdeutlichen hingegen die Lücken in unserem Wissen über die Welt und bieten eine Grundlage, um diese Lücken zu schließen.