Die Website der deutschsprachigen Wikipedia ist seit Mitternacht für 24 Stunden mit schwarzer Farbe überdeckt. Auch wenn alle Artikel über die Android-App noch erreichbar sind und Wikipedia daher entgegen der Medienberichte nicht komplett offline ist, dient die Aktion mit der Trauerfarbe als klares Zeichen. Die Mehrheit der Wikipedia-Autoren, die zuvor an einem Meinungsbild teilgenommen haben, hat sich für eine Protestaktion entschieden. Es geht um die EU-Urheberrechtsreform, die wegen der mittlerweile berühmt-berüchtigten Artikel 11 und 13 von sehr vielen Europäer abgelehnt wird. Es ist der nächste Akt in der Tragikomödie „Politiker entdecken das Neuland“.
Willkommen im Neuland
Bundeskanzlerin Angela Merkel prägte vor knapp sechs Jahren in einer Pressekonferenz mit dem damaligen US-Präsidenten Barack Obama die Bezeichnung „Neuland“ für das Internet. Der Begriff wird seitdem gerne wiederholt, wenn Politiker mal wieder über das weltweite Netz reden. Besser gesagt: Wenn sie versuchen, darüber etwas Sinnvolles zu sagen. Dass Merkels Kollegen in der CDU seit 2013 keinen Schritt weitergekommen sind, zeigt ganz aktuell die blamable Fehleinschätzung, die sofort für den Hashtag #axelsurft sorgte. Axel Voss hat nämlich selbst so etwas Einfaches wie die Google-Bildersuche nicht verstanden. Besonders peinlich wird die Geschichte, wenn man bedenkt, welche Rolle Herr Voss gerade spielt. Er ist nämlich der größte Anhänger der eingangs erwähnten EU-Reform, der blind auch die Artikel 11 und 13 schönredet. Der Chef-Lobbyist hat also offensichtlich keinerlei Kompetenz bei seinem Kernthema.
Artikel 13 und Upload-Filter
Aus Artikel 13 würden zwangsläufig Upload-Filter resultieren, weil die Betreiber der betroffenen Plattformen sonst die geforderten Kontrollen der Inhalte nicht bewerkstelligen könnten. Allerdings sind Upload-Filter dumm. Facebook schafft es ja jetzt schon nicht, beispielsweise zwischen nackten Brüsten und einer weiblichen Statue zu entscheiden. Noch schwieriger wird es bei Satire und den Memes, die Axel Voss gerade in der Google-Bildersuche entdeckt hat. Da die Upload-Filter also einfach alles blockieren müssten, um dem unsinnigen Artikel 13 gerecht zu werden, würden chinesische Verhältnisse, nämlich weitreichende Zensur, drohen. Kreative Arbeit würde also nicht geschützt, sondern verhindert. Hinzu kommt, dass wegen der in Deutschland und Europa weit verbreiteten Inkompetenz in Sachen Internet wohl vor allem Technik aus den USA bei den Filtern zum Einsatz käme.
Besser freies Wissen
Eine bessere Lösung zeigen die Wikipedia, die ich gerade vor ein paar Tagen beworben habe, und die mit ihr verbundenen Plattformen wie Wikimedia Commons. Dort wird nicht nur freies Wissen in Form von Texten gesammelt. Dank freier Lizenzen wie Creative Commons und Gemeinfreiheit sind auch zahlreiche Fotos, Grafiken und Videos entweder ganz uneingeschränkt oder mit nur kleinen Hürden bezüglich Lizenzangaben für alle Menschen verfügbar. Auch andere Inhalte-Anbieter wie die Bilder-Plattform Pixabay gehen ähnliche Wege. Statt der unsinnigen Urheberrechtsreform, über die gerade gestritten wird, sollten die Politiker solche Initiativen fördern. Doch das können sie nur, wenn sie endlich geistig und in ihren Handlungen das Zeitalter von 56k-Modems und AOL verlassen.
Google News ist kein Feind
Noch veralteter und verkrusteter ist das Denken bei einigen Vertretern der Presse wie dem Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger. Der BDZV leistet derzeit massive Lobby-Arbeit für den ebenso sinnlosen Artikel 11 der EU-Urheberrechtsreform. Es geht um eine europaweite Einführung eines Leistungsschutzrechts. Im Mittelpunkt stehen dabei kurze Ausschnitte aus Presseberichten, die auf Plattformen wie Google News zitiert werden. Die Lobbyisten sehen darin einen Missbrauch ihrer Arbeit, die nicht ausreichend vergütet werde. Dabei leistet Google News wichtige Unterstützung bei der Bewerbung von Nachrichtenartikeln. Die Listung bei Google News erzeugt gemäß dem AIDA-Modell Aufmerksamkeit und durch die kurzen Teaser Interesse für die Berichte. Wer den Artikel dann lesen möchte, kommt mit dem Link auf die Website der Zeitung. Solche Aufmerksamkeit für die von Journalisten geschaffenen Werke ist umso wichtiger, weil viele mögliche Leser sowieso schon durch Bezahlschranken (Paywall) und Adblocker-Sperren von den Inhalten ausgeschlossen werden. Mit einer Durchsetzung von Artikel 11 würde Google sein Angebot Google News in Europa zurückziehen.
Geld verdienen mit einer Digitalsteuer
Während die Neuland-Politiker mit der EU-Urheberrechtsreform schon viel Zeit verschwendet haben, liegt ein viel wichtigeres Projekt seit vielen Jahren brach. Wenn die Politiker und alle anderen Beteiligten von den großen Firmen wie Google oder Facebook Geld eintreiben wollen, geht das nicht mit der aktuellen Reform, sondern viel besser mit einer Digitalsteuer. Die Einnahmen könnten dann sowohl für die Förderung freien Wissens als auch für die Unterstützung kreativer Menschen genutzt werden. Das wäre eine Änderung, von der alle Menschen profitieren würden.