Vor ziemlich genau 250 Jahren wurde Alexander von Humboldt geboren und noch heute können wir viel von ihm lernen. Dieser Universalgelehrte kam nur einen Monat nach Napoleon Bonaparte zur Welt, zwanzig Jahre vor der Französischen Revolution und zu einer Zeit, in der die Vereinigten Staaten gerade entstanden. Damals herrschte in Preußen noch ein König und Humboldt sprach mit Goethe persönlich. Diese zeitliche Einordnung ist wichtig, um zu verstehen, wie früh der Forscher zu seinen eindrucksvollen Erkenntnissen kam. Wie er zu einem Superstar der Wissenschaft aufstieg, beschreibt die Autorin Andrea Wulf in ihrem Buch Alexander von Humboldt und die Entdeckung der Natur, das ich in den letzten Wochen mit großer Begeisterung gelesen habe.
Wulf beschreibt auf spannende Weise das Leben und die Forschungstätigkeit des Gelehrten, der vor allem mit seiner Südamerika-Expedition und dem komplexen Hauptwerk Kosmos bekannt wurde. Eine ausführliche Zusammenfassung des Buches habe ich auf meiner Website geschrieben.
Humboldt und der Klimawandel
Wie interessant die Geschichte ist, lässt sich beispielsweise beim Thema Klimawandel sehen. In der Gegenwart verweisen die Aktivisten von Fridays for Future und andere mahnende Stimmen auf Wissenschaftler, die seit 30 Jahren warnen und Fakten liefern. Doch die ersten Erkenntnisse liegen noch viel weiter zurück. Als Humboldt um 1800 durch Südamerika zog, sah er austrocknende Seen und die Abholzung des Regenwalds. Schon damals befürchtete er drastische negative Folgen durch die Ausbeutung der Natur. Seine direkten Nachfolger wie der US-Amerikaner George Perkins Marsh intensivierten die Kritik.
Zusammenhänge erkennen
Humboldt interessierte sich schon früh für viele verschiedene Themen von Tieren und Pflanzen über Geologie bis zu den Arbeitsbedingungen von Bergarbeitern oder Sklaven. Seine große Stärke war es jedoch, überall Zusammenhänge zu erkennen und die Natur als großes Ganzes, inklusive des menschlichen Einflusses, zu betrachten. Diese Fähigkeit sehen wir heute leider immer seltener. Schon zu Humboldts Lebzeiten begann die Wissenschaft, sich in Fachrichtungen aufzuspalten.
Südamerika und der Chimborazo
Ein Schlüsselerlebnis für den Universalgelehrten war der Aufstieg auf den 6300 Meter hohen Chimborazo im heutigen Ecuador. Er verglich die Vegetation mit den Alpen und einem Berg auf Teneriffa und erkannte Verbindungen, die er später im russischen Altai-Gebirge erweiterte. Der Chimborazo stand dann auch im Mittelpunkt seines berühmten Naturgemäldes, mit dem Humboldt seine Erkenntnisse veranschaulichte. Heute würden wir von einer Infografik sprechen.
Insgesamt rund fünf Jahre dauerte Humboldts Expedition über den amerikanischen Kontinent, bei der er am Ende auch die Vereinigten Staaten besuchte. Dabei sammelte er so viele Erkenntnisse, dass er mehrere Bücher damit füllte. Zu den Büchern, die er in Paris und Berlin schrieb, gehörten u.a. die Ansichten der Natur. Für seine Daten aus Südamerika und Mexiko interessierten sich sogar der US-Präsident Jefferson und der Revolutionär Simón Bolívar.
Kosmos: Die Natur als komplexer Organismus
Sein Hauptwerk verfasste Humboldt in insgesamt fünf Bänden. Es trägt den einfachen, aber dennoch vielsagenden Titel Kosmos. Dieser Begriff verdeutlicht die Denkweise des Forschers. Denn er betrachtete die Natur als komplexen, umfassenden Organismus. Kein Tier und keine Pflanze lebt für sich allein. Auch der Mensch muss sich mit der Natur arrangieren, die jederzeit zum Beispiel bei Vulkanausbrüchen ihre Macht zeigen kann. Dank dieser Weltsicht erkannte Humboldt eine Verbindung zwischen Südamerika und Afrika und entdeckte Diamanten in Russland. Die Natur war seine Heimat und der Kosmos sein Lebenswerk.
Vielfältig vernetzt von Goethe bis Darwin
Verbindungen in alle Richtungen zeigte Humboldt auch bei seinen persönlichen Beziehungen. Er sprach mit Goethe über Wissenschaft und Kunst und mit US-Präsident Jefferson über Agrarstaat und Sklaverei. Politisch hatte er engen Kontakt zum preußischen König, mit dessen Geld er einen Teil seiner teuren Projekte finanzierte, und er musste sich mit Napoleons Machenschaften auseinandersetzen. Seine Naturbilder inspirierten Bolívar beim politischen Kampf in Südamerika und viele nachfolgende Forscher beim Umgang mit der Natur. Außerdem stand Humboldt in ständigem Austausch mit wissenschaftlichen Kollegen. Der berühmteste dieser Kollegen war Charles Darwin. Humboldts Werke inspirierten Darwin zu eigenen Forschungsreisen und legten die Grundlage für dessen Evolutionstheorie.
Einfluss vor allem durch komplexe Denkweise
Es gibt auch kritische Stimmen über Humboldt, den manche Beobachter für überschätzt halten. Allerdings sollte man seine Expeditionen und Forschungen immer im zeitlichen Kontext sehen, den ich eingangs dargestellt habe. Wie viel von seinen Erkenntnissen in der modernen Wissenschaft noch Bestand hat, kann man diskutieren. Seine Fähigkeit, alles in komplexen Zusammenhängen zu betrachten, sollten wir aber auch heute noch nutzen. Ganz egal, ob es um Wissenschaft, Kultur oder Politik geht. Die Welt ist nicht einfach. Das ist der Kern von Humboldts Vermächtnis.