In diesen Tagen gibt es diverse Berichte und TV-Sendungen zum Thema Schule, zum Beispiel die interessante Dokumentation von ZDF Zoom. Schließlich beginnt gerade das neue Schuljahr. In der Politik spielt die Bildung weiterhin leider kaum eine Rolle. An einzelnen Schulen gibt es durchaus gute, moderne Ansätze, aber in Deutschland wird dem Thema viel zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Dabei gibt es mehr als genug Probleme.
Fangen wir mal oben an. Eines der größten Probleme der deutschen Bildungspolitik ist nämlich, dass es gar keine deutsche Politik ist, sondern eine nordrhein-westfälische, bayerische, sächsische etc. Bildung ist nämlich eine Angelegenheit der Bundesländer. Das führt seit langem zu großem Durcheinander. Es gibt zwölf oder dreizehn Schuljahre, unterschiedliche Fächer, Lehrpläne und vieles mehr. Es hängt also u.a. vom Wohnort ab, wann, was, wieviel ein Kind in der Schule lernt.
Ein weiteres großes Problem, das eng mit der fehlenden Aufmerksamkeit zusammenhängt, ist die finanzielle Ausstattung. Über marode Schulgebäude und veraltete Unterrichtsmaterialien wurde schon viel berichtet. Dass die Digitalisierung ebenfalls ein Nischenthema in der deutschen Politik ist, erkennt man auch an Schulen. Moderne Geräte und der Umgang mit Computer und Internet sind dort kaum zu finden. Es ist ein Skandal, dass die Politik in Banken oder Autokonzerne mehr Geld investiert als in die Orte der Bildung und die Menschen, die sich darum kümmern, den Kindern etwas fürs Leben zu vermitteln. Schulen haben leider keine starken Lobbyisten.
Da sind wir auch schon bei den Lehrern. Viele Lehrkräfte liefern eine tolle, engagierte Arbeit. Das zeigen beispielsweise die ausgezeichneten Schulen beim Deutschen Schulpreis. Doch die Pädagogen sind vielfach überfordert. In manchen Klassen sind sie zunächst mal als Sozialarbeiter statt als Wissensvermittler gefordert. Sie müssen den Kindern angemessenes Verhalten zeigen, das diese von ihren Eltern nicht gelernt haben. Hinzu kommen spezielle Anforderungen bei Kindern mit geringen Deutschkenntnissen oder mit Behinderungen, Stichworte Integration und Inklusion. Da können Sprachkurse und Schulbegleiter helfen, aber Lehrer alleine können das nicht leisten. Vor allem wenn man ihnen wenig Respekt erweist. Gerade angestellte Lehrer werden oft schlecht behandelt, z.B. wenn sie in den Sommerferien vorübergehend entlassen werden, um Geld zu sparen.
Auch die Ausbildung der Lehrer ist wohl nicht gerade optimal. Von Lehramtsstudierenden höre ich Berichte über ein schlecht strukturiertes und inhaltlich unzureichendes Studium. Sie fühlen sich nicht ausreichend und praxisnah auf die kommenden Herausforderungen in diesem Beruf vorbereitet.
All das trägt wohl dazu bei, dass es immer weniger Lehrer gibt. Der Lehrermangel bringt immer mehr Quereinsteiger in die Schulen. Diese Menschen wissen viel über ihr jeweiliges Fach, doch oft mangelt es ihnen an pädagogischen Kenntnissen und Fähigkeiten, die angesichts der zunehmenden Probleme immer wichtiger werden. Das ganze Wissen bringt nicht viel, wenn man es nicht anschaulich und interessant erklären kann.
Damit kommen wir zur Wissensvermittlung. Frontalunterricht ist ein Unwort für alle, die sich mit moderner Bildung auseinandersetzen. Der Begriff beschreibt eine Form des Unterrichts, bei der ein Lehrer vor der Klasse steht, den Schülern etwas erzählt und die Kinder zuhören oder Fragen beantworten. Diese Einbahnstraße führt in eine Sackgasse. Ich spreche aus meiner Erfahrung als Nachhilfelehrer. Beispiel: Bei einem Lateinschüler werde ich von den Eltern mit dem Hinweis konfrontiert, der Schüler müsse wie in Akkordarbeit eine bestimmte Anzahl an Sätzen übersetzen. Nein, so geht das nicht. Um vernünftig übersetzen zu können, muss man neben der Kenntnis der Vokabeln vor allem die Strukturen verstehen. Wo sind Haupt- und Nebensatz? In welcher Form steht das Verb? Was sagt mir das über den Rest des Satzes? Ähnliches gilt für weitere Fächer. Man muss die Themen nicht arbeiten, sondern Zusammenhänge erkennen und verstehen.
Moderner Unterricht setzt statt Frontalunterricht andere Schwerpunkte. Die Schüler sollen selbst aktiv werden. Um es mit den Worten meiner Dozentin an der Universität zu Köln zu sagen: „Was der Mensch sich selbst erarbeitet, behält er besser.“ Kleine Kinder, die gerade die Welt erkunden, benutzen oft das wichtigste Fragewort: Warum? Diese Neugier sollte dann auch in der Schule im Mittelpunkt stehen. Wer nicht nur Fakten lernt, sondern Zusammenhänge versteht und weiß, warum sich etwas auf eine bestimmte Weise entwickelt, verbessert seine Bildung. Wissen ist mehr als eine Ansammlung von Informationen. Am besten lässt sich das Wissen in Zusammenarbeit mit anderen Schülern erarbeiten. Jeder Mensch hat andere Fähigkeiten und Interessen. Diese sollte man geschickt verbinden. Fragen erwecken Interesse für ein Thema und wer etwas erklärt, verstärkt dadurch sein eigenes Wissen.
Das gilt übrigens nicht nur für die Schulzeit, sondern für das ganze Leben. Wir reden hier von beruflicher Weiterbildung und lebenslangem Lernen. Wer mit offenen Augen durch die Welt geht, kann jeden Tag überall neue Eindrücke gewinnen und etwas Neues lernen.
Eine gute Bildung hilft nicht nur im Berufsleben und beim sozialen Status. Sie ist auch das beste Mittel gegen extreme Tendenzen. Wer gebildet ist, fällt nicht auf Fake News herein, sondern kann diese durch Fakten widerlegen. Wer gebildet ist, läuft keinen dummen Schreihälsen hinterher. Wer gebildet ist, kann die wirklichen Ursachen für Probleme erkennen und sucht keine Sündenböcke. Wer gebildet ist, hat etwas über Menschlichkeit, Ehrlichkeit und Vernunft gelernt.
Radikale Strömungen, Fachkräftemängel, soziale Spaltung und Altersarmut gehören zu den größten Problemen der Gegenwart. Wir könnten sie in den Griff bekommen oder zumindest deutlich verringern, wenn wir der Bildung mehr Aufmerksamkeit widmen würden. Dazu brauchen wir eine einheitliche, vernünftig finanzierte Bildungspolitik mit ebenso motivierten wie respektierten Lehrern, die nach einer guten Ausbildung junge Menschen für Wissen begeistern, ihnen die Zusammenhänge des komplexen Weltgeschehens vermitteln und sie zum selbstständigen Denken animieren.
Henry Ford sagte einmal: „Denken ist die schwerste Arbeit, die es gibt. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, dass sich so wenige Leute damit beschäftigen.“ Sorgen wir dafür, dass sich mehr Leute damit beschäftigen! Sorgen wir für gute Bildung!