Die Menschen, die inspiriert von Fridays for Future seit Ende 2018 für besseren Klimaschutz und Klimagerechtigkeit kämpfen, könnten eine gewisse Ohnmacht verspüren. Denn trotz ihrer beharrlichen Proteste, trotz aller Studien und trotz der klaren wissenschaftlichen Erkenntnisse geschieht in Deutschland und weltweit immer noch viel zu wenig für ein besseres Klima. Außerdem wird das Thema angesichts vieler anderen Krisen gerne verdrängt. Wie sich das anfühlt und wie man damit umgeht, zeigen Luisa Neubauer und ihre Großmutter Dagmar Reemtsma in ihrem sehr lesenswerten neuen Buch „Gegen die Ohnmacht“.
Die persönliche Motivation gegen die Ohnmacht
Es ist nicht das erste Buch, der FFF-Aktivistin, aber das persönlichste. Im Gegensatz zum vorherigen Werk „Noch haben wir die Wahl“, in dem Neubauer mit einem Boomer-Journalisten über die konkreten Probleme und Lösungsansätze zur Klimakrise diskutierte, geht es diesmal mehr um die eigene Motivation. Neubauer zeigt, wie sie zum Kämpfen motiviert wurde.
Eine wichtige Rolle spielt dabei ihre Großmutter als Vorbild. Dagmar Reemtsma engagierte sich schon lange, bevor es das Internet und Klimastreiks gab. Sie kämpfte in Hamburg mit Demonstrationen und Briefen gegen umweltschädliche Baumaßnahmen von Airbus, gegen heuchlerische Autokonzerne und gegen Laubbläser. Auch der Tod ihres Vaters war eine wichtige Motivation für Luisa Neubauer. Denn dabei spürte sie ein deutliches Gefühl von Ungerechtigkeit. Außerdem zog sie eine Parallele von Tabakfirmen, die Raucher in den Tod treiben, zu fossilen Konzernen, die die problematischen Teile ihres Geschäftsmodells unterdrücken und verdrängen.
Von eigenen Erfahrungen zu großen Themen
Diese Verknüpfungen von persönlichen Erfahrungen und den großen Themen zieht sich durch alle Kapitel des Buches. So wird die Erinnerung an einen jugendlichen Roadtrip zu einem Gedanken über die kaum vorhandenen Klimaschutzmaßnahmen im Straßenverkehr. Ähnliches gilt für Erfahrungen mit Flugreisen, bei denen Neubauer an die Zeiten der Billigflieger erinnert. Da kommen ihr auch gleich Vergleiche mit den günstigen Preisen von Fast-Fashion-Kleidung in den Sinn. Eine Geschichte ihrer Oma über Brötchen führt zu der Frage, wie wir nachhaltiger mit Lebensmitteln umgehen.
Diese Beispiele zeigen deutlich, dass wir beides brauchen – die kleinen Veränderungen bei einzelnen Menschen ebenso wie die großen Veränderungen in der Politik und Wirtschaft. Es ist gut, wenn jeder und jede von uns weniger konsumiert und umweltfreundlicher lebt, aber ohne politische Vorgaben und ein Umdenken in der großen Wirtschaft geht es nicht. Nur gemeinsam können wir die Ohnmacht verhindern.
Die historische Dimension
Durch die Einbindung der Großmutter erhält das Buch auch eine ebenso wichtige historische Dimension. Denn schließlich sind die Warnungen vor dem Klimawandel und die Forderungen nach entsprechenden Maßnahmen kein Phänomen der letzten drei, vier Jahre. Es sind eher drei bis vier Jahrzehnte, mindestens.
Die Anti-Atomkraft-Bewegung, die durch Tschernobyl 1986 verschärft wurde, war eine Grundlage für die Entstehung der Grünen. Themen wie das Ozonloch und der saure Regen waren bereits in den 1980er-Jahren in den Medien, wurden aber nicht so sehr als Teil eines großen Problems gesehen. Es kam sogar noch schlimmer. Fossile Konzerne unterstützten schon damals mit ihren noch heute viel zu mächtigen Lobbyisten die Klimawandelleugner.
Auch der problematische Anteil der Wirtschaft an den heutigen Krisen und den mangelhaften Schutzmaßnahmen lässt sich weit zurückverfolgen, wie Neubauer mithilfe ihrer Großmutter zeigt. In Deutschland entstand nach den Entbehrungen des Zweiten Weltkriegs mit dem sogenannten Wirtschaftswunder ein unersättliches Konsumverhalten. Autos wurden mit Freiheit assoziiert, Lebensmittel und fossile Ressourcen waren vermeintlich grenzenlos verfügbar.
Die erste deutliche Warnung lieferte dann 1972 der Club of Rome mit seinem berühmten Werk Die Grenzen des Wachstums. Darin steht: „Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht.“ Spätestens seit dieser Warnung kann niemand mehr behaupten, er oder sie habe es nicht gewusst.
Die Verantwortung ernst nehmen
Wie nicht nur bezüglich Konsum und Nachhaltigkeit persönliche Verantwortung erwächst, zeigt die Familiengeschichte der beiden Autorinnen. Die Großmutter trägt nicht zufällig den Namen der Zigarettenfabrik Reemtsma. Sie ist durch Heirat mit dieser problematischen Familie verbunden. Im Buch wird die Geschichte offen angesprochen.
Die industrielle Familie verdankte ihren Erfolg auch den engen Beziehungen zu den Nationalsozialisten. Dadurch war die Firma zu dieser Zeit der dominante Marktführer in ihrer Branche. Die Reemtsma-Familiengeschichte sorgte letztlich dafür, dass Dagmars Verwandte zugleich von den Nazis profitierten und vom Massenmord betroffen waren.
Schon damals spielte sich eine Geschichte von Ausbeutung und Gewalt u.a. auf der Krim ab, die auch beim aktuellen russischen Krieg im Mittelpunkt steht. Wir sehen, dass die Menschen aus den Fehlern der Vergangenheit zu wenig gelernt haben. Wieder gibt es einen Krieg, angezettelt von einem diktatorisch regierten Land, das seine Macht auf fossilen Energien errichtet hat. Wieder geschieht durch die große Lobby der fossilen Konzerne zu wenig, um aus den fatalen Abhängigkeiten herauszukommen. Entsprechende Maßnahmen werden von den konservativen bis extremistischen politischen Kräften sogar aktiv verhindert.
Gemeinsam gegen die Ohnmacht
Wie überwinden wir also die Ohnmacht? Luisa Neubauer und ihre Großmutter zeigen letztlich, dass es vor allem auf Beharrlichkeit ankommt. Dagmar Reemtsma kämpft im hohen Alter weiterhin gegen Ungerechtigkeit. Auch die junge Generation lässt sich nicht vom Widerstand konservativer Menschen und fossiler Firmen aufhalten. Sie zeigt deutlich, dass wir mehrere Krisen gleichzeitig in den Griff bekommen, wenn wir nur wollen und angemessen handeln. Nicht nur angemessen, sondern auch so schnell wie möglich.
Weder Luisa Neubauer noch irgendeine andere einzelne Person kann den Klimawandel alleine aufhalten. Aber wir brauchen solche Menschen, die uns immer wieder aufwecken. Vorbilder, die zeigen, dass es sich letztlich lohnt, gemeinsam für eine bessere Welt zu kämpfen.