Der Begriff Demokratie kommt ebenso wie die damit ausgedrückte politische Vorstellung aus Griechenland. Das griechische Wort δημοκρατία lässt sich mit Herrschaft des Volkes übersetzen. Was es wirklich bedeuten kann, dass die Bürger das Sagen haben, lässt sich besonders gut erkennen, wenn sie bei einem Bürgerentscheid die Entscheidung anstelle von Politikern übernehmen. So ist es gerade in meiner Heimat geschehen.
83% der Abstimmenden gegen 90% des Kreistags
Der Landrat war der Meinung, dass man dem Kreis Düren einen neuen Namen geben müsste, um den Kreis umfassender darzustellen und für den Strukturwandel besser aufzustellen. Die Umbenennung wollte er mit der großen Mehrheit des Kreistags schnell durchsetzen. Doch die dort lebenden Menschen fühlten sich nicht nur von dieser plötzlichen Entscheidung überrumpelt. Sie fanden auch den geplanten neuen Namen und die dafür nötigen Ausgaben unangemessen.
Deshalb wehrten sie sich so hartnäckig und engagiert, dass es erst zu einem Bürgerbegehren und dann zu einem verbindlichen Bürgerentscheid kam. Das Ergebnis war sehr eindeutig: 83% der Abstimmenden (bei einer Wahlbeteiligung über 50%) machten der 90%igen Mehrheit im Kreistag mit ihrem Kreuz auf dem Stimmzettel einen Strich durch die Rechnung.
Direkte Demokratie mit Bürgerbegehren und Bürgerentscheid
Vielen Menschen war vor diesem Prozess, der sich insgesamt über Monate hinzog, vielleicht gar nicht bewusst, wie viel politischen Einfluss sie haben. Alle paar Jahre können wir zur Wahl gehen und unsere Stimme abgeben. Aber auch zwischendurch haben wir als Volk die Macht und können die Stimme nicht nur auf einer Demonstration oder am Stammtisch erheben.
Ein besonderes Element der Demokratie ist das Doppel aus Bürgerbegehren und Bürgerentscheid. Der erste Teil bringt einen Wunsch des Volkes zum Ausdruck, das eine bestimmte politische Entscheidung fordert. Bei einem kassierenden Bürgerbegehren wie im Kreis Düren geht es darum, eine Entscheidung eines politischen Gremiums zurückzunehmen. Es findet mittels einer Unterschriftensammlung statt. Man muss also genug Menschen davon überzeugen, mit ihrer Unterschrift ein Zeichen zu setzen. So ein Verfahren ist zwar vielen Menschen gar nicht bekannt, bis es vor Ort passiert, doch die Datenbank des diesbezüglich aktiven Vereins Mehr Demokratie zeigt eine umfassende Liste.
Im Kreis Düren hat das Bürgerbegehren nicht gereicht, um die Politiker zur Änderung ihrer Entscheidung zu bringen. Daher folgte der Bürgerentscheid, bei dem alle kommunalpolitisch wahlberechtigten Einwohner in einer Briefwahl mit Ja oder Nein abstimmen konnten. Dabei kamen die angesprochenen 83% zusammen. Der Bürgerentscheid ist ein mächtiges Instrument. Denn er ist keine Empfehlung an die Politiker, sondern eine rechtlich verbindliche Entscheidung, die einem Beschluss des Kreistags oder entsprechenden Gremiums gleichgestellt ist.
Was braucht man für eine erfolgreiche Volksherrschaft?
So ein erfolgreicher Bürgerentscheid fällt natürlich nicht vom Himmel. Man muss einiges tun, um so weit zu kommen. Das fängt schon bei den formalen Voraussetzungen an. Zunächst mal sind einige Themenbereiche ausgeschlossen. Dann muss man im ersten Schritt, dem Bürgerbegehren, bei der Anzahl der gesammelten Unterschriften ein je nach Bundesland und Größe des betroffenen Gebiets unterschiedliches Quorum, also einen bestimmten Prozentsatz erreichen.
Um diese Hürde gemeinsam überwinden zu können, braucht man großes Engagement von möglichst vielen helfenden Menschen. Schließlich entscheiden in einem solchen Fall nicht wenige Politiker, sondern viele Menschen aus dem Volk. Die Demokratie muss lebendig und das Volk aktiv sein.
Wer ein Bürgerbegehren initiiert, sollte sich eine gute Strategie überlegen, um die Menschen zu erreichen und zu überzeugen. Dabei ist heutzutage neben den klassischen Medien und persönlichen Gesprächen auch das Internet hilfreich. Der beschriebene Fall von direkter Demokratie im Kreis Düren entstand unter dem Eindruck einer informellen Online-Petition, an der sich innerhalb weniger Tage Tausende Menschen beteiligten. Für die weitere Planung und Werbung sowie den Austausch von Argumenten und Informationen wurde dann eine offene Facebook-Gruppe gegründet. Alle wichtigen Informationen gab es außerdem auf einer Website.
Der gegnerischen Gruppe, also den Menschen, die die Entscheidung des Kreistags unterstützten, mangelte es hingegen nicht nur an Argumenten. Sie ließen auch Offenheit und Transparenz vermissen. In ihrer Facebook-Gruppe wurden keine Andersdenkenden zugelassen und kritische Nachfragen sowie die Forderungen nach genaueren Informationen wurden ignoriert. Da zeigte sich also, wie wichtig immer wieder eine klare Kommunikation ist.
Umstritten, aber denkbar: Direkte Demokratie auf Bundesebene
Alles, was ich in diesem Beitrag bisher beschrieben habe, gilt in Deutschland nur auf kommunaler Ebene (also in Städten, Gemeinden und Kreisen) sowie eingeschränkt auf Ebene der Bundesländer. Für Entscheidungen in der gesamten Bundesrepublik ist – bis auf zwei exotische Ausnahmen – hingegen keine direkte Demokratie in Deutschland vorgesehen. Da dies jedoch dem Artikel 20 des Grundgesetzes widerspricht, der festlegt, dass alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht, ist das Thema schon seit langer Zeit umstritten.
Begründet wird das weitgehende Verbot auf Bundesebene mit der Angst, dass sich so etwas wie in der Weimarer Republik, also der schleichende Aufstieg von bösen Mächten wie den Nationalsozialisten wiederholen könnte. Eine solche Gefahr muss man selbstverständlich ernst nehmen. Doch in den vergangenen Jahrzehnten sind auch alle Versuche von extremen und rassistischen Gruppierungen wie NPD, Pegida und AfD gescheitert, den Staat zu zerstören, weil die Demokratie und unser Rechtssystem bei allen Problemen stabil genug sind.
Interessant ist in dem Zusammenhang außerdem, dass Elemente der direkten Demokratie wie der Bürgerentscheid seit den 1990er Jahren vermehrt in die Verfassungen von Bundesländern und Kommunen aufgenommen wurden. Ich denke, dass das zeitlich kein Zufall ist. Der Mauerfall und die deutsche Wiedervereinigung 1989/90 wurden schließlich durch die berühmten Montagsdemonstrationen ausgelöst, als die Menschen riefen: „Wir sind das Volk!“ Mehrere Jahrzehntelang hatten sie in der DDR-Diktatur gelebt und keinen politischen Einfluss gehabt. Dann schafften sie es durch gemeinsame, beharrliche Proteste, die Mauer zwischen West und Ost zu Fall zu bringen.
Bürgerbeteiligung vor allem bei wichtigen Themen
Die Forderung nach mehr direkter Demokratie bedeutet nicht, dass die Bürger bei jeder Kleinigkeit eine aufwändige Abstimmung durchführen müssen. Schließlich werden die Politiker in der repräsentativen Demokratie dafür gewählt, dass sie diese Arbeit übernehmen. Aber sie müssen ihre Bezeichnung als Volksvertreter in vielen Fällen ernster nehmen. Sie treffen die Entscheidungen nicht für sich oder im Auftrag von irgendwelchen Sponsoren, sondern für das gesamte Volk in ihrem Einflussbereich.
Eine gute Bürgerbeteiligung zeigt sich über Wahlen oder Abstimmungen wie dem Bürgerentscheid hinaus in einer guten Kommunikation. Wer eine Idee hat, um das Leben der Menschen zu verbessern, muss damit aus dem dunklen Hinterzimmer ans Tageslicht kommen. Politiker müssen über ihre Pläne reden, bevor sie Entscheidungen treffen, die viele Menschen betreffen. Sie müssen anschaulich erklären, warum und wie sie einen Plan umsetzen möchten. Außerdem müssen sie transparent zeigen, wie viel Geld die Umsetzung kostet und welche Folgen sie hat. Dann können die Bürger anhand von klaren und überprüfbaren Informationen entscheiden, ob sie mit dem Plan einverstanden sind oder sich mit Elementen der direkten Demokratie dagegen wehren.